In der Ausgabe 12/11 der COMPUTERWOCHE sind die wesentlichen Ergebnisse der CW-Marktstudie 2011 „Agile Softwareentwicklung“ veröffentlicht worden. An der Online-Umfrage haben mehr als 90 Personen aus verschiedenen Unternehmen teilgenommen. Nur ein Drittel der Befragten bezeichnen ihren Entwicklungsprozess als „agil“. Die agilen Werte, Prinzipien und Praktiken vollständig verinnerlicht haben lediglich 3,3 Prozent der befragten Unternehmen – eine eher ernüchternde Quote, zehn Jahre nach Erscheinen des agilen Manifests. Nach den Gründen für die Zurückhaltung gefragt, nannten die Befragten Themen, die auf der IT-Agenda weiter oben stehen als die Softwareentwicklung – allen voran Standardisierung, Konsolidierung und Integration. Die Vermutung liegt nahe, dass diese drei Handlungsfelder vor allem technisch motiviert sind. Die in der Studie genannten Vorteile agiler Vorgehensweisen beziehen sich hingegen hauptsächlich auf die Güte und die Umsetzungsgeschwindigkeit fachlicher Anforderungen. Dies mögen viele IT-Verantwortliche als Anlass nehmen, um die „Agilisierung“ ihres Bereichs (noch) nicht voranzutreiben. Dabei lassen sich auch gute fachliche Gründe zumindest für die Handlungsfelder Standardisierung und Integration finden.
Standardisierungsbemühungen sollten die Softwareergonomie mit einschließen
Eine konsequente Standardisierung der IT-Landschaft macht auch vor den Benutzeroberflächen der Fachanwendungen nicht Halt. Eine Usability-Analyse fördert Inkonsistenzen und unnötige Komplexität in der Bedienung zutage, die Eingabefehler provozieren oder den Anwender unnötig bremsen. Viele Anwender arbeiten parallel mit mehreren Anwendungen. Je mehr sich deren Bedienkonzepte unterscheiden, desto holpriger ist der Arbeitsablauf. Eine Verbesserung der Ergonomie lässt sich nur Schritt für Schritt und gemeinsam mit den Anwendern umsetzen, mit anderen Worten: iterativ und interdisziplinär. Klingt agil, oder?
Systemintegration ist ein iterativ-inkrementeller Prozess
Eine Integration von Systemen ist in den meisten Fällen nur dann sinnvoll, wenn sich daraus positive Effekte für die Geschäftsprozesse des Unternehmens ergeben. Idealerweise ist der Wunsch nach besseren und schnelleren Prozessen der Auslöser für eine Orchestrierung der Anwendungssysteme in der IT-Landschaft des Unternehmens, anstatt umgekehrt ein technisches Integrationsprojekt zu planen und erst dann nach fachlichen Nutznießern zu suchen. Egal, von welcher Seite man sich diesem Thema nähert: die Integration von Systemen im Kontext fachlicher Geschäftsprozesse lässt sich nicht mit einem „Big Bang“ erledigen. Diese Erkenntnis ist nicht neu, wird aber immer noch überraschend oft ignoriert. Eine iterativ-inkrementelle Integration, bei der ausgewählte (oder alle) Inkremente den Anwendern zur produktiven Nutzung zur Verfügung gestellt werden, fördert den Erkenntnisgewinn und sorgt nicht selten für neue oder veränderte Anforderungen. In einem Wasserfall-Projekt können diese Erkenntnisse nach Abschluss der Analysephase nur mit großem Aufwand in die Planung aufgenommen werden. In agilen Projekten hingegen ist das kontinuierliche Anpassen des Anforderungskatalogs (in Scrum „Product Backlog“ genannt) der Normalfall.
Agile Vorgehensmodelle wirken sich auf alle Unternehmensbereiche aus
Die beiden Beispiele belegen, dass eine IT-Abteilung, die sich dem Geschäftswert ihres Unternehmens verpflichtet sieht, mit einer agilen Vorgehensweise besser aufgestellt ist. Einmal etabliert, entwickelt sich das agile Denken und Handeln in vielen Fällen über die in der Studie adressierte Softwareentwicklung hinaus und verändert schließlich die gesamte Organisation. Damit das gelingt, muss das Management einen kooperativen und transparenten Führungsstil entwickeln, der auf der Idee eigenverantwortlich handelnder Teams gründet. An die Mitglieder solcher Teams werden hohe Anforderungen gestellt. Neben der fachlichen Eignung werden in einem agilen Umfeld Tugenden wie Disziplin, Verantwortung und Kommunikationsfähigkeit gefordert. Hier haben viele Mitarbeiter Nachholbedarf. Das spiegelt sich auch in der Studie wider. Für mehr als 93 Prozent der Befragten stellen die neue Arbeitsweise und die damit verbundenen organisatorischen Anpassungen eine große Hürde auf dem Weg zum agilen Vorgehen dar. Das ist nachvollziehbar und deckt sich mit den Erfahrungen, die wir in vielen Beratungsmandaten und Coachings sammeln konnten. Anstatt jedoch diese soziologische Herausforderung als Anlass zu nehmen, um alles beim Alten zu belassen, empfehlen wir unseren Kunden, die Herausforderung anzunehmen. Am Ende des schwierigen Weges winkt ein Unternehmen, das dynamisch genug ist, um mit den beständig im Wandel begriffenen internen und externen Anforderungen souverän und kosteneffizient umzugehen.