In Ausgabe 04/2014 widmete sich das Wirtschaftsmagazin brand eins dem Thema Konzentration. Das Interview mit Armin Petras, Regisseur und Intendant am Schauspiel Stuttgart, war eine echte Überraschung, weil ich viele Parallelen zur agilen Organisation feststellen konnte.
Auf die Frage, wie er es schaffe, die für die Probenarbeit nötige Konzentration im gesamten Ensemble zu erreichen, antwortete Petras unter anderem:
„Wenn man eine gemeinsame Basis hat, kann es sein, dass man bis ein Uhr nachts probt. Das funktioniert nur über einen gemeinsamen Rhythmus. […] Ich glaube extrem an gemeinsame Erfahrung. Deshalb können auch Phasen, in denen scheinbar nicht geschieht, total wichtig sein.“
Die Kraft des Rhythmus kennen wir auch aus agilen Vorgehensmodellen wie Scrum. Da agile Projekte der Bewältigung komplexer Probleme dienen, die sich einer linearen Ursache-Wirkungs-Beziehung entziehen, ist es unmöglich, ein agiles Team zu steuern. An die Stelle der Steuerung tritt die Intervention, mit der das Team angeregt wird. Dann bleibt nichts anderes zu tun als abzuwarten und dabei auch einmal eine Phase des Stillstands auszuhalten.
Zur Abgrenzung seiner verschiedenen Rollen sagt Petras:
„Gerade für die nötige Konzentration ist es für mich extrem wichtig, die verschiedenen Tätigkeiten zu trennen. Ich bin Regisseur, Intendant, Dramatiker, Vater. Wenn ich inszeniere, bin ich ausschließlich Regisseur. Das ist für mich wichtig, das ist auch für die Schauspieler wichtig, damit sie wissen, wer da vor ihnen sitzt.“
Jeder Scrum Master, der zugleich aktives Mitglied des Entwicklungsteams ist, weiß, wovon Petras hier redet. Wenn den Teammitgliedern nicht klar ist, welchen Hut man gerade aufgesetzt hat, dann kann es zu Missverständnissen und Störungen im Teamgefüge kommen.
Die vielen verschiedenen Rollen bringen es mit sich, dass Petras sehr konzentriert auf die jeweilige Rolle sein muss. Für den Rollenwechsel nimmt er sich dann gerne mal eine (kommunizierte) Auszeit von einer halben Stunde, in der er nur im Notfall per SMS erreichbar ist. Und er hat gelernt, zu vertrauen und abzugeben:
„Wenn ich mich auf meine eigentlichen Aufgaben konzentrieren will, muss ich andere Dinge abgeben können. Möglichst große Eigenverantwortung der einzelnen Abteilungen ist für ein modernes Theater total wichtig. Erst wenn das nicht funktioniert, muss man eingreifen.“
Dieses Grundvertrauen in die Stärken der anderen ist meiner Meinung nach eine der schwersten Übungen für Entscheider, die bereit sind für den agilen Wandel. Schließlich bedeutet es, mit der Abgabe der Aufgabe auch ein Stück der Entscheidungsbefugnis und der Kontrolle über die Zukunft des Unternehmens in andere Hände zu geben. Immer in der Hoffnung, dass sich das Unternehmen dadurch ebenso gut (aber vielleicht ganz anders) entwickelt, als wenn man selber die Entscheidung getroffen hätte.
Um ein solches Grundvertrauen zu entwickeln, muss man in einem Team von Menschen arbeiten, die zueinander passen. Dabei ist es weniger wichtig, ob jeder sein Handwerk perfekt beherrscht. Viel wichtiger ist, dass die Chemie stimmt, wie Petras bestätigt und drastisch untermauert:
„Die entscheidende Frage, auf die ich mich bei einem Engagement konzentriere, ist: Passt dieser Mensch zur Mannschaft? Da muss man extrem genau hinschauen. Jeder Fehler rächt sich. […] Wenn man merkt, dass jemand nicht ins Gefüge passt, hilft es nicht, das auszusitzen. Das fliegt einem um die Ohren. Da muss man klare, harte Entscheidungen treffen. Falsches Harmoniebedürfnis hilft in der Situation einen Dreck. Ungelöste Probleme wuchern.“
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine glückliche Hand, ein gutes Bauchgefühl bei der Auswahl Ihrer Mitarbeiter – vor allem aber die Einsicht, sich bei dieser für die Zukunft des Unternehmens so wichtigen Entscheidung ausreichend Zeit zu nehmen.
Peter Laudenbach: „Der Mauersegler„; brand eins 04/2014