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SEACON 2010: Der Blick hinter die Schlagwörter geht weiter

Nach dem letztjährigen Premierenerfolg der Software-Engineering-Konferenz SEACON betrat ich gestern das Hotel Atlantic in Hamburg mit hohen Erwartungen. Damit war ich nicht allein. Die ersten Gäste, die ich im Ausstellungsraum traf, waren allesamt Wiederholungstäter. Und so blickten wir gespannt den zwei Tagen voller Vorträge und spannender alternativer Formate entgegen, die 2009 den Reiz dieser kleinen, aber feinen Konferenz ausgemacht hatten. Wir wurden nicht enttäuscht. Nach der Begrüßung durch die Organisatoren eröffnete Prof. Dr. Gary S. Schaal das Programm mit einem Appell zur Demokratie durch Diskurs (oder Deliberation, das – wie ich jetzt weiß – ein Synonym ist). Seiner Meinung nach kann die Volksnähe (und damit auch die Nachvollziehbarkeit und Akzeptanz) politischer Entscheidungen am besten dadurch wiederhergestellt werden, indem man eine repräsentative Gruppe der Bevölkerung beauftragt, gemeinsam ein vorgegebenes Problem zu lösen. In Kanada ist auf diese Weise ganz strukturiert (durch Analyse, Diskussion und Beschluss) eine Verfassungsänderung entwickelt worden. Im englischen Sprachraum hat sich für dieses Konzept der Begriff „Crowdsourcing“ etabliert. Ein inhaltlich spannendes Thema – und so herrlich IT-fremd! Überhaupt hätte ich im Rückblick der SEACON 2010 ein anderes Motto gegeben: anstelle von „Der Blick hinter die Schlagwörter … geht weiter“ wäre „Der Blick über den Tellerrand“ aus meiner Sicht passender gewesen. Den Organisatoren und dem Fachbeirat ist es gelungen, die Teilnehmer aus ihren gewohnten Denkstrukturen herauszulocken und ihnen neue Themen anzubieten. So wurde nach anfänglichem Zögern die Thementafel auf dem Open-Space-Marktplatz dann doch recht schnell mit verschiedenartigen Themen gefüllt, so dass sowohl am Montag als auch am Dienstag acht parallele Diskussionsrunden stattfanden, zwischen denen die Teilnehmer interessiert hin- und herschwirrten. Die Ergebnisse wurden sofort auf seacon.posterous.com veröffentlicht und standen somit auch jenen Konferenzbesuchern zur Verfügung, die sich für andere Open-Space-Diskussionsrunden (oder eine kleine Pause) entschieden hatten.

René Dalock machte uns allen Mut, als er in seinem Vortrag behauptete: „Wir alle sind Designer!“ Nach seiner Definition des Begriffs, die sich auf die Anwendung der vier Designprinzipien Nähe, Ausrichtung, Wiederholung und Kontrast beschränkte, ist es wohl treffender zu behaupten, dass wir alle Designer sein können – wenn wir denn wollen. Am Beispiel einer Visitenkarte zeigte René Dalock den positiven Effekt einer konsequenten Anwendung dieser Prinzipien. Dabei geht es nicht um Design im Sinne von „schick!“, sondern um eine übersichtliche und verständliche Art der Darstellung. Das sind Ziele, für die sich überall Anwendungen finden lassen – auch in der Softwareentwicklung.

Die erste Runde der „Pecha Kucha“ genannten Kurzvorträge leiteten Henning Wolf und ich mit einem „Pecha Kucha über Pecha Kucha“ ein. In 6 Minuten und 40 Sekunden (verteilt auf 20 Bilder á 20 Sekunden) stellten wir dieses rasante Format und dessen Herausforderungen vor. Wir beleuchteten auch die thematische Vielfalt der neun Kurzvorträge, die nun folgen sollten. Die durchgängig hohe Qualität der Vorträge zeigte, dass die neun „Pecha-Kutscher“ die Herausforderungen dieses Formats verstanden hatten und zu meistern wussten. Der Themenmix war bewusst bunt, um auch hier die Zuhörer an neue Themen heranzuführen, die sie als Einzelvortrag vermutlich nicht ausgewählt hätten. Die Bandbreite reichte von der Macht der Sprache in Softwareprojekten (in der Modellierung, im Code sowie in Dokumentation und Benutzeroberfläche), einer domänenspezifischen Sprache für die iPhone-Applikationsentwicklung und dem Themen-Trio Agil/BPM/SOA bis hin zur Anwendung von Prinzipien aus der Medizin auf die Softwarearchitektur und dem Quadrantenmodell des Begründers der analytischen Psychologie, Carl Gustav Jung. An beiden Tagen waren die Pecha-Kucha-Sessions sehr gut besucht. Auch die Rückmeldungen der Zuhörer belegen, das dieses Format Anklang findet.

Ein ähnlich riskantes Format (allerdings aus ganz anderen Gründen) ist die Fishbowl. Diese offene Diskussionsrunde mit wechselnden Teilnehmern lebt von der aktiven Mitarbeit des Auditoriums. Bettina Lobenberg leitete ihr Thema „Menschen im Projekt – der oft übersehene Erfolgsfaktor“ mit einer kurzen Präsentation ein. Die anschließende Diskussion kam zunächst nur schwer in Gang. Das lag vielleicht auch an dem sehr offenen Thema, das viele unterschiedliche Diskussionsstränge zuließ. Und so schien es, als warteten alle auf jemanden, der die „richtige“ Richtung wies. Auf das Stichwort „Eisberg-Modell der Kommunikation“ hin kam Schwung in die Runde. „Was tun, wenn ich kommunikative Defizite in meinem Projekt feststelle?“, lautete eine Frage. Die (aus Beratersicht nachvollziehbare) Antwort des systemischen Coachs: Engagieren sie einen Coach und legen sie den Gegenstand und das erwartete Ergebnis des Coachings fest. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Schließlich haben wir es mit Menschen zu tun, und die müssen erst einmal erkennen, dass Handlungsbedarf besteht. Dann müssen sie das Angebot eines Coachings akzeptieren. Und erst dann kann ein Coach aktiv werden. Das alles – so zumindest meine These – entfaltet nur dann eine nachhaltige Wirkung, wenn der Coachee begreift, dass er oder sie ein Erfolgsfaktor des Projektes ist. Viel zu oft fühlen sich die Projektmitglieder aufgrund einer feingliedrigen Aufgabenteilung und langen Kommunikationswegen zwischen Anwendern und Entwicklern als kleines Rad im Unternehmens- und Projektgetriebe, dem der Blick auf das große Ganze verwehrt bleibt. Die Vermittlung einer gemeinsamen Vision ist der Ansatzpunkt für die bessere Wertschätzung der Arbeit aller Projektmitglieder. Auch hilft es, die Entwickler mit den Anwendern zusammenzubringen, damit erstere wissen, wem sie mit ihrer Arbeit helfen, und letztere erfahren, dass die Software, die sie nutzen, von Menschen gemacht ist, mit denen man (direkt) reden kann. Es gibt keinen Ersatz für das Lob, mit dem sich ein Anwender bei einem Entwickler(team) für die geleistete Arbeit bedankt. Auf der Basis derartiger Wertschätzung sind dann auch größere Veränderungen möglich.

Der abschließende Vortrag von Sabine Link fasste die Aspekte Soft Skills und Kommunikation noch einmal schön zusammen: „Reden ist Silber, Verstehen ist Gold“ ist ihr Credo. Das Zusammenspiel von unterschiedlichen Persönlichkeitstypen und die verschiedenen Ebenen der Kommunikation gehören ihrer Meinung nach zu den großen Herausforderungen in Projekten und Organisationen. Glücklicherweise versorgte sie die Zuhörer mit ein paar unumstößlichen Erkenntnissen und passenden Empfehlungen:

  • Menschen sind verschieden – und das ist auch gut so.
  • Ein Team ist mehr als die Summe der Einzelnen.
  • Man kann nicht nicht kommunizieren.
  • Überbringer schlechter Nachrichten nicht bestrafen.
  • Wer zusammen arbeitet, sollte auch zusammen sitzen.
  • Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.

Das Rahmenprogramm der SEACON war wieder sehr gelungen. Die Atmosphäre, das Catering und vor allem der erstklassige Service des Hotel Atlantic trugen ihren Teil zum gelungenen Gesamteindruck bei. Am Montagabend wurde die Fußballweltmeisterschaft an zwei Kicker-Tischen nachgespielt. Zu gewinnen gab es ein iPad. Diese Geräte sah man an den zwei SEACON-Tagen nur sehr selten. Ich hatte in Anbetracht der Vielzahl IT-affiner Besucher erwartet, dass jeder Zweite seine Gedanken zu den Sessions einem der intelligenten Tabletts der Firma Apple anvertraut hätte, aber da muss ich wohl noch bis zur nächsten Konferenz warten.