Am 2. und 3. November fand in Nürnberg der Software-QS-Tag statt. Seit 19 Jahren werden auf dieser Konferenz aktuelle Themen rund um Software-Qualitätssicherung und -Test diskutiert. Dieses Jahr hat das Programmkomitee ein Thema aufgegriffen, das in vielen Softwareprojekten mittlerweile angekommen ist und dort tief greifende Veränderungen bewirkt. Die Rede ist von agilen Vorgehensweise, von denen das Projektmanagement-Framework „Scrum“ der mit Abstand prominenteste Vertreter ist. Viele Vorträge, Workshops und Tutorials bezogen sich denn auch auf diesen populären agilen „Werkzeugkasten“. Henning Wolf und Markus Gärtner von it-agile brachten mit einem Tutorial über Kanban noch einen anderen agilen „Geschmack“ mit. Die Konferenz begann aber mit einer agilen Grundsatzbetrachtung. Jutta Eckstein beleuchtete anhand der zwölf Prinzipien, die hinter den Werten des agilen Manifests stehen, die kritischen Faktoren für agile Softwareentwicklung in kleinen und großen Projekten. Diese Prinzipien machen im Vergleich zu den Werten noch viel deutlicher, welch großen Herausforderungen ein Softwareentwicklungteam gegenüber steht, wenn es agil entwickeln möchte. Im Zentrum steht der Geschäftswert für den Kunden – und der kann nur durch qualitativ hochwertige Lösungen realisiert werden. Also sind wieder einmal die Qualitätsmanager und Tester gefragt – oder?
Testen in der agilen Welt
Welche Rolle spielen diese Verfechter guter Software in einer agilen Welt? Eine große – da waren sich alle Konferenzteilnehmer einig. Aber welche genau? Diese Frage diskutierte ich in den Vortragspausen. Die Antworten zeigten, dass sich Tester ganz selbstbewusst und selbstverständlich als vollwertige Mitglieder agiler Teams verstehen und keine Berührungsängste mit den „Hackern“ haben. Warum auch, denn wer Tests auf allen Ebenen mit Technologien wie Selenium und Cucumber automatisieren kann, der kann in Sachen Software Craftsmanship qualifiziert mitreden. Neben der zunehmenden Automatisierung des Testens sind die Qualitätssicherer auch bei der Beschreibung der User Stories gefragt. Hier können sie dem Product Owner und dem Kunden beispielsweise dabei helfen, die User Stories verständlich und widerspruchsfrei zu beschreiben und Akzeptanzkriterien sauber zu definieren. Den Testern geht also auch in einer agilen Welt die Arbeit nicht aus. Allerdings müssen auch sie sich dem agilen Wandel stellen – vor allem dort, wo sie in eigenen QS-Abteilungen organisiert sind. Solche Abteilungen müssen nicht zwingend sofort aufgelöst werden. Sie können zu Kompetenzzentren umorganisiert werden, die ihre Experten als Teammitglieder mit Schwerpunkt Testen in die Projekte entsenden.
Warum überhaupt agil?
Warum betreten Unternehmen überhaupt den agilen Pfad? Was ist die Motivation dafür, altbekannte und (hoffentlich) bewährte Vorgehensmodelle abzukündigen und einem leichtgewichtigen Ansatz den Vorzug zu geben? Während der gesamten Konferenz hörte ich nur einen Grund: schnellere Time to Market. Ein hehres Ziel, denn wer einmal erfahrenen Agilen lauscht, der wird hören, dass nach der ernsthaften Einführung eines agilen Vorgehensmodells zunächst einmal die Produktivität sinkt. Das liegt nicht daran, dass die Methode zu kompliziert ist, sondern am hohen Qualitätsanspruch, manifestiert in der „Definition of Done“ (DoD). Das soll nicht heißen, dass in der „alten Welt“ ohne Qualitätsmaßstab gearbeitet wurde. Aber der Anspruch, in jeder Iteration jede User Story produktionsreif zu entwickeln, reduziert fast zwangsläufig die Entwicklungsgeschwindigkeit, bis der neue Prozess rund läuft und bei den Entwicklern in Fleisch und Blut übergegangen ist. Deshalb ist es meiner Meinung nach sinvoller, ein Mehr an Qualität als erstes Ziel für die agile Transformation festzulegen. Die schnellere Time to Market kommt dann fast von allein – und das mit einem Produkt, dass sich durch hohe Qualität und Kundenakzeptanz auszeichnet.
Testen agile Projekte erfolgreicher?
Auch Andreas Spillner (Hochschule Bremen) und Karin Vosseberg (Hochschule Bremerhaven) kommen in ihrer wissenschaftliche Umfrage „Softwaretest in der Praxis“ zu dem Ergebnis, dass agile Praktiken nicht als Maßnahmen zur Qualitätssicherung gesehen werden. Damit ist meine Beobachtung nun auch wissenschaftlich abgesichert 🙂 Viel interessanter waren aber die anderen Untersuchungsergebnisse, die auf einem Vergleich der Testmethoden in phasenorientierten und agilen Projekten basieren. Die Studie konnte keine gravierenden Unterschiede beim Einsatz der Testmethoden zwischen den genannten Vorgehensmodellen feststellen. Auch der Grad der Automatisierung war bei den agilen Projekten nicht so hoch wie erwartet. Die Autoren der Studie konnten die Gleichung „Agilität = bessere Qualität“ nicht belegen, machten aber ein steigendes Verantwortungsbewusstsein für die Qualitätssicherung aus – das lässt doch hoffen. Kleiner Wermutstropfen: Kunden und Fachabteilungen stehen bei der Qualitätssicherung auch in agilen Projekten noch in der zweiten Reihe. Wird Zeit, dass die agilen Teams ihren Kreis öffnen…
„Geschichten vom Scrum“ live
Am Abend durfte ich die rund 200 Konferenzteilnehmer vom Abendessen abhalten. Bevor wir an mehreren Live-Cooking-Stationen ein großartiges Abendessen genießen konnten, habe ich aus meinem Buch „Geschichten vom Scrum“ vorgelesen. Wieder einmal zahlte es sich aus, dass ich unseren Töchtern jahrelang Geschichten vorgelesen habe. Die Vorstellung der Protagonisten gelang dieses Mal besonders gut, weil Holisticon gemeinsam mit dem dpunkt.verlag die „Musketier-Kärtchen“ produziert hat, die an jedem Platz auslagen. Mit diesen Kärtchen können Mitglieder agiler Teams ihren Kolleginnen und Kollegen auf eine augenzwinkernde Art Lob und konstruktive Kritik zukommen lassen. Die Lesung hat nicht nur mir viel Spaß gemacht. Mehrfach wurde der Wunsch nach einem Hörbuch an mich herangetragen. Gemeinsam mit dem dpunkt.verlag werde ich das mal prüfen.
Launiger Abschlußvortrag
Den Reigen der Sessions dieser zweitägigen Veranstaltung schloss Christian Johner, der Sinn und Nutzen agiler Entwicklung in einem sehr unterhaltsamen Vortrag kritisch hinterfragte. Schade nur, dass aus meiner Sicht der Gehalt und die fachliche Genauigkeit hinter dem Unterhaltungswert zurückblieben. Schade auch, dass die anschließende Podiumsdiskussion nicht so recht in Gang kommen wollte. Das mag aber auch daran liegen, dass die Teilnehmer nach zwei Tagen intensiver Auseinandersetzung mit agilen Vorgehensmodellen ein wenig diskussionsmüde waren. Das wiederum ist ein gutes Zeichen – zeigt es doch, dass sie die Veranstaltung intensiv genutzt haben. Auch ich trat mit vielen Impressionen den Rückweg nach Hamburg an.